JBL Soundgear Sense im Test
Der brandneue JBL Soundgear Sense beweist: Jetzt droht auch der Gesellschaft der Kopfhörer-Hersteller eine gewisse Spaltung: Während Quereinsteiger Dyson mit dem Zone, einer kuriosen Kreuzung aus Noise-Cancelling-Over-Ear und Luftreiniger, den Weg der Abschottung von der Außenwelt mit extremen Mitteln verfolgt, setzt angeführt von Shokz eine Gegenbewegung ein. Mit dem als Open-Ear-Hörer ausgelegten Soundgear Sense schließt sich kein geringerer als JBL der neuen Freiheitsbewegung an. Die am Rande der IFA Berlin in einer großen Party mit unzähligen Influencer*innen vorgestellten Kopfhörer verdecken nicht das Ohr wie Over-Ears oder On-Ears und werden auch nicht wie In-Ears darin versenkt. Von einem hinter dem Ohr entlanggeführten, verstellbaren Bügel gehalten, liegen sie nur leicht im Bereich um den Gehörgang herum auf. Der weitaus größte Teil des Gehörorgans bleibt frei.
Damit erreicht der Open-Ear folgendes: Das Tragegefühl wirkt ebenso luftig wie das Räumlichkeitsgefühl, das nicht zuletzt auch von einem gewissen Übersprechen zwischen beiden Ohren profitiert. Mit diesem Konzept entfällt zugleich der mitunter hohe Druck, den viele In-Ears auf den Gehörgang ausüben. Denn bis auf wenige Ausnahmen wie bestimmte Bose-Ohrhörer entscheidet eine möglichst hermetische Abdichtung des Innenohrs über einen satten oder einen matten Bass. Beim JBL Soundgear Sense sorgt eine digitale Entzerrung im DSP-Chip in Verbindung mit einer stattlichen 16,2-mm-Membran in jedem Ohrhörer für eine kräftige Tiefton-Wiedergabe. Damit sind die Treiber fast doppelt so groß wie die des Oberklasse-In-Ears Sony WF-1000XM5. Damit verfolgt JBL das Ziel, die mit dem Open-Ear-Prinzip einhergehenden Druckverluste im Bass zu kompensieren.
Bei Bedarf beigelegten Bügel befestigen
Zusätzlich bietet der in der Verpackung des JBL Soundgear Sense gut versteckte Nacken-Bügel einen gewissen Schutz gegen das Verrutschen oder Verlieren des nach Schutzklasse IP54 gegen Sand und Spritzwasser geschützten Hörers. Das macht die Soundgear Sense zum idealen Begleiter für sportliche Aktivitäten. Dabei zahlt sich positiv aus, dass er in unserem Standard-Test recht unempfindlich auf Windeinflüsse reagierte. Damit vermeiden die Bluetooth-Hörer ein akustisches Problem, das sich bei Outdoor-Aktivitäten nicht nur bei stürmischem Wetter äußert, sondern auch jene betrifft, die sich schnell an der frischen Luft fortbewegen.
Prinzip-bedingter Verzicht auf ANC
Auf Annehmlichkeiten wie Active Noise Cancelling (ANC) verzichtet der Open-Ear von JBL prinzipbedingt. Ohne dichten Sitz wäre das auch aus verschiedenen Gründen ein ziemlich hoffnungsloses Unterfangen. Der Verzicht trägt zudem nicht nur dem Gefühl der Verbindung mit der Umwelt entgegen, was sich in gewissen Situationen auch als Vorteil in Sachen Sicherheit erweist. So ganz nebenbei profitiert auch der Stromverbrauch vom Wegfall, der mit der Erzeugung von Antischall verbundenen Maßnahmen.
So darf man von den JBL Soundgear Sense eine Betriebsdauer von bis zu sechs Stunden am Stück erwarten. Durch zweimaliges Einführen der im Vergleich zu den verbreiteten In-Ears recht ausladenden Open-Ears in das ovale Ladecase, das entsprechend sperrig ausfällt, ergibt sich eine Laufzeitverlängerung um weitere 18 Stunden. Über das mitgelieferte USB-C-Kabel lässt sich an einer passenden Stromquelle, etwa einer Powerbank, in nur 15 Minuten Energie für weitere vier Stunden Spielzeit nachtanken.
Die Kopplung mit dem Smartphone erforderte reichlich Geduld, was man aber nicht überbewerten sollte, denn das Testmuster bekamen wir schon kurz vor dem offiziellen Release-Datum der JBL Soundgear Sense im September. Nach zahlreichen Resets gaben wir zunächst auf, konnten aber nach einigen Versuchen die TWS-Hörer mit einem MacBook Pro verbinden. Danach klappte es irgendwann auch mit dem iPhone. Anschließend konnten wir auch über die kostenlos für iOS und Android erhältliche JBL Headphones App die Software-Version 2.0 via Bluetooth 5.3 aufspielen. Mit knapp 10 Minuten für das Firmware-Update gehören die JBLs dabei zu der schnellen Truppe.
JBL Headphones App mit Equalizer und weiteren nützlichen Funktionen
Die JBL Headphones App stellt auch drei verschiedene Sound-Presets für unterschiedliche Hörgewohnheiten beziehungsweise Ton-Programme bereit: Jazz, Vocal, Bass, Club, und Studio. Die fünf Voreinstellungen lassen sich aber auch über den 10-Band-Equalizer nach persönlichem Geschmack anpassen. Und man kann unter „My EQ“ auch eine eigene Kreation abspeichern.
Eine weitere wichtige Funktion der App ist die Belegung der beiden Touch-Flächen auf den Rückseiten der beiden Hörkapseln, die sich mit unterschiedlichen Funktionen für bestimmte Gesten belegen lassen. Dabei macht es einen Unterschied, ob man ein-, zwei- oder dreimal die berührungsempfindlichen Oberflächen antippt – etwa, um über die integrierten vier Mikrofone eingehende Anrufe anzunehmen. Schließlich lässt sich der JBL Soundgear Sense als Headset verwenden. Wie bestellt rief mich in einer Hörsession ein Freund mit audiophilem Hintergrund an, der mir aus berufenem Munde gleich die sehr gute Sprachqualität der JBL Soundgear Sense bestätigen konnte. Selbst bei leichten Windböen konnten wir uns noch gut verständigen.
Bluetooth-Übertragung nach Maß
Ein weiteres nützliches Feature ist die Anpassung an Audio- oder Video-Wiedergabe. Das hat folgenden Hintergund: Wer Filme oder YouTube-Videos lippensynchron, sprich mit kürzester Zeitverzögerung sehen möchte, opfert etwas Klangqualität und Reichweite der Bluetooth-Funkstrecke. Das hat mit Pufferung zu tun. In der Test-Praxis wirkte es sich so aus, dass ich mich mit dem JBL Soundgear Sense im Musik-Modus in der ganzen Wohnung ohne Übertragungsprobleme frei bewegen konnte, ohne das Smartphone mitzunehmen. Im Video-Modus kam es dabei des öfteren zu kurzen Tonaussetzern. Bei aktivierter Smart Audio & Video Funktion entfällt die manuelle Umschaltung.
Unter den übrigen Funktionen findet sich eine Balance-Regelung, Sprachenwahl für die Ansagen und eine automatische Abschaltung. Falls man den Hörer nach Gebrauch nicht in sein Ladecase einführt und den Deckel schließt, schaltet er so nach einer Vorwahl in drei Zeitstufen ab, um Strom zu sparen. Vergessliche können über die JBL Headphones App zudem über das Zuspielen lauter Töne in ihrer näheren Umgebung orten. Man kann übrigens dank Dual Connect auch einen einzelnen Open-Ear mit seinem Smartphone koppeln und ein Ohr freilassen.
Hörtest: Macht der Open-Ear auch richtig Bass?
Ortung ist auch das Stichwort zum Hörtest. Kopfhörern haftet prinzipbedingt immer eine gewisse Im-Kopf-Lokalisation an, was vor allem für mittig im Klangpanorama angeordnete Solisten gilt. Das trifft besonders die beliebten In-Ears, die durch Einsetzen in den Gehörgang die Außenohr-Übertragungsfunktion umgehen und aus kürzester Distanz auf das Trommelfell einwirken. Damit setzen sie nicht nur die für Ortung von Schallereignissen entscheidende Funktion außer Kraft. Es entfällt auch der mit On-Ears oder Over-Ears wie bei Lautsprechern zumindest im Bereich des Ohrs zu verspürende Schalldruck.
Der Effekt lässt sich als natürliches Hörgefühl beschreiben, das eher HiFi-Boxen im Raum als üblichen Kopfhörern entspricht. Zwar beseitigt das Open-Ear-Prinzip nicht nicht grundsätzlich die Ortung von Stimmen oder Instrumenten in der Mitte der imaginären Klangbühne im Kopf. Doch seitlich entsteht ein großzügigerer Raumeindruck mit mehr Transparenz.
Fein justierbar für Komfort und Klang
Die JBL Soundgear Sense lassen sich durch ein Gelenk an den um zwei Achsen schwenkbaren Bügeln in drei verschiedenen Stufen nach oben oder unten anwinkeln und somit von der Klangabstrahlung perfekt an die Ohren anpassen. Wer Rock und Pop mit sattem Nachdruck hören möchte, der sollte die beiden Kapseln mit ihren großzügig dimensionierten Membranen so weit wie möglich über den beiden Gehörgängen platzieren.
Dabei erwiesen sich die Verstellungs-Möglichkeiten mit zwei Achsen als ausgesprochen nützlich. Wer die Bluetooth-Open-Ears dagegen nach oben vom Gehörgang wegschwenkt, erntet damit das Gefühl gesteigerter Transparenz und natürlicher Räumlichkeit. Der Preis dafür ist allerdings ein ausgedünnter Grundtonbereich mit leicht spitzer Stimmenwiedergabe und ein Verlust an Punch in den untersten Oktaven. Hier den besten Kompromiss zu finden für die jeweilige Musik ist der Schlüssel zur Zufriedenheit mit den Open-Ears von JBL.
Auf den richtigen Sitz kommt es an
Bei richtiger Feinjustage kann man mit Pop und elektronischer Musik nicht nur einen satten Bass genießen. Es klingt auch wie bei den Shokz OpenFit, die gerade unsere Testprozedur durchlaufen, irgendwie eine ganze Spur natürlicher als mit In-Ears. Daran tragen sicherlich psychoakustische Effekte einen Anteil. Irgendwie wirkte mit den Open-Ears gerade akustisches Schlagzeug in Rockklassikern von Pink Floyd oder Deep Purple straffer und tiefer, wenn auch eine Spur schlanker als mit manchen In-Ears.
Dabei gelang den JBL Soundgear Sense ein besserer, präziserer Kick als mit den üblichen Bluetooth-In-Ears dieser Klasse. Die müssen nämlich mit dem Handycap des kleinen, zwischen Membran und Trommelfell eingeschlossenen Luftvolumens klarkommen. Der trockene Punch der „frei atmenden“ Soundgear Sense beflügelt auch den Drive von elektronischen Beats. Dabei wirkte sich positiv aus, dass die recht großen Treiber des im Vergleich zum Shokz reichlich sperrigen JBL sich auch bei hohen Pegeln nicht an extrem fetten Elektro-Beats verschluckten.
Was dem JBL ebenfalls sehr gut gelang war die tonale Ausgewogenheit und Natürlichkeit von Stimmen, denen es nicht an Wärme fehlte, obgleich sie je nach Sitz in dieser Disziplin nicht ganz an sehr gute In-Ears herankommen. Die Stärke des Open-Ear-Prinzips, das zeigte sich auch schon deutlich beim Shoks Openfit, dessen Test wir auf STEREO GUIDE in Kürze veröffentlichen, liegt in der Räumlichkeit der Wiedergabe. Und auch die lässige, ungezwungene Luftigkeit des Klangpanoramas beflügelte in Verbindung mit dem filigranen, seidigen Oberton-Spektrum und der schnellen Reaktion auf feinste Impulse die Wiedergabe von Jazz und Klassik. So waren etwa Gitarren oder Violinkonzerte mit dem JBL Soundgear Sense die reine Freude. Man kann sagen, den neuen Open-Ears von JBL haftet in gewisser Weise ein Hauch Magie an.
Fazit des Test und Alternativen
Die JBL Soundgear Sense sind rund doppelt so teuer und sperrig wie der rundum gelungene, für Pop-und Rock-Musik gut geeignete JBL Tune 230NC TWS. Sie bieten dafür ein besonders luftiges Gefühl beim Tragen und Hören, das mit dem Verzicht auf Active Noise Cancelling einhergeht. Gerade den nicht künstlich aufgeblähten Bass, der wirklich ein Schlagzeug nachempfinden kann, konnten wir sehr genießen. Wo viele In-Ears eher den Oberbass aufblasen, bietet der Open-Ear von JBL einen zünftigen Tiefgang und viel Präzision – zumindest, wenn man sich kurz Zeit nimmt, ihn perfekt zu positionieren.
Manche mögen aber eher fette als präzise Bässe und möchten auf ANC nicht verzichten. Die können mit dem JBL Tune 230NC TWS ein Schnäppchen machen, das sich auch besser mit seinem vergleichsweise winzigen Ladecase in die Hosentasche stecken lässt. Zudem – und das gilt für In-Ears generell – gibt es keinen Konflikt mit Brillen. Im Test konnte ich die Soundgear zwar mit Sonnenbrille verwenden, doch bequem oder sicher im Sitz (für die Ray Ban) war das nicht. Diese Probleme lassen sich mit dem preislich vergleichbaren, ebenfalls für Sport optimierten Sennheiser Sport True Wireless lösen, der auch den von manchem gehegten Wunsch nach mehr Brillanz erfüllt. Eine Alternative mit geringeren Abmessungen, aber ähnlichem Profil sind die Shokz Openfit., die inklusive Ladecase deutlich sperriger ausfallen, dafür aber voller und dynamischer aufspielen.
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JBL Soundgear Sense: Technische Daten
- Preisempfehlung des Herstellers: 150 Euro
- Bauart: Open-Ear
- Wandlerprinzip: Dynamisch
- Gewicht: je 5,3 g, Ladecase 68,1 g
- Besonderheiten: Bluetooth 5.3, TWS, App-Steuerung, 4 Mikrofone, Schutzklasse IP54
- Mehr unter: www.jbl.com
Der Beitrag JBL Soundgear Sense im Test erschien zuerst auf STEREO GUIDE – Das HiFi-Magazin.
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